Grundlegende Fragestellung
Viele Methoden, die den Einsatz von Erklärvideos beinhalten, basieren darauf, dass die Videos vor oder nach dem Unterricht zu Hause oder in Freiarbeitsphasen angesehen werden. Im Austausch mit Kollegen, bekommen wir aber auch immer wieder die Frage gestelllt, ob man Erklärvideos nicht auch direkt im Unterricht einsetzen könne.
Die Frage lässt sich mit einem klaren „ja“ beantworten, jedoch sollte man einige Punkte beachten, wenn man plant Erklärvideos ins Unterrichtsgeschehen einzubinden.
Was man vermeiden sollte
Zu aller erst sollte man es unbedingt vermeiden ein Erklärvideo frontal vor der gesamten Klasse zu zeigen. Zum Einen gehen damit alle Vorteile verloren, die ein Erklärvideo mit sich bringt. (Individuelles Pausieren, Wiederholen einzelner Passagen und Unterbrechen.) Zum anderen wäre in dem Fall ein Lehrervortrag oder ein gut geführtes Lehrer-Schüler-Gespräch deutlich sinnvoller und individueller an die jeweilige Lerngruppe anpassbar.
Einen wirklichen Mehrwert bringt dagegen der Einsatz von Erklärvideos in individuellen Phasen wie Partner- oder Gruppenarbeit, bei mehreren Lernstationen oder als Bestandteil eines Lernzirkels. Hier ist der grundlegende Zweck, durch das Video ein anderes Informationsmedium (Quellentext, Lückentext oder Buch) zu ergänzen oder zu ersetzen. Außerdem lassen sich Erklärvideos ideal zum differenzierten Üben und Wiederholen verwenden. Diese Einsatzmöglichkeit wollen wir im Folgenden näher beleuchten.
Mögliche Themen in unterschiedlichen Fächern könnten sein:
• Wiederholung des schriftlichen Rechnens im Matheunterricht der Klasse 5
• Üben der Zeichensetzung im Deutschunterricht
• Wiederholung der Grammatik in den Fremdsprachen
• Training der verschiedenen Messverfahren bei elektrischen Schaltungen im Physik-Unterricht
Einsatz beim differenzierten Üben
Wir wollen das erste Beispiel aus dem Matheunterricht hier näher beleuchten. Sie können alle vorgestellten Schritte jedoch auch auf jedes andere der oben beschriebenen Szenarios (oder eigene Unterrichtsideen) übertragen.
Zunächst startet man mit einem „Check-In“, der dazu dienen soll, dass sich die Schüler, je nach eigenem Kenntnisstand, in verschiedene Lernstufen einordnen können. Bei der Wiederholung des schriftlichen Rechnens, wäre dies ein Arbeitsblatt mit jeweils drei Aufgaben zum schriftlichen Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren. Die Schüler kontrollieren sich mit Hilfe von der Lehrkraft zur Verfügung gestellter Lösungen selbst und teilen sich für jede der vier Grundrechenarten nach folgender Tabelle in verschiedene Stufen ein.
Die drei Stufen im Detail:
? Alles richtig.
? Kleinere Rechenfehler, aber das Verfahren an sich wird beherrscht.
? Mehrere Fehler, das Verfahren an sich wird nicht oder nur teilweise beherrscht.
Sind sich die Schüler beim Einstufen in die richtige Kategorie unsicher, sollte sie die Lehrkraft beratend unterstützen.
Je nach gewählter Lernstufe wird nun anders verfahren:
Ist der Schüler für eine oder mehrere Rechenarten in der Kategorie mit dem traurigen Smiley (?) eingestuft, braucht er nochmal einen einfachen Input der Grundlagen des zugehörigen Themas. Dieser Input erfolgt nun nicht frontal für alle Schüler sondern dezentral nur für diejenigen die bei genau diesem Thema Hilfe brauchen. Als Medium bietet sich hierfür ein Erklärvideo ideal an. An mehreren kleinen Lerninseln (zum Beispiel in den Ecken des Klassenzimmers) werden Gruppentische gestellt und mit einem Laptop oder Tablet zum Ansehen des Videos ausgestattet. Den Schülern wurde in der Vorstunde aufgetragen Kopfhörer mitzubringen, so dass die Videos geschaut werden können, ohne die Mitschüler zu stören. Arbeiten mehrere Schüler an einem Gerät, bietet es sich an, kleine Audioweichen zu verwenden um die parallele Nutzung mehrerer Kopfhörer zu ermöglichen. Sie können solche Audioweichen recht günstig z.B. online bestellen. (Amazon Link einbauen) Nach dem Erklärvideo bekommen die Schüler einige einfache Aufgaben um die gezeigte Vorgehensweise zu üben. Wenn diese Aufgaben bewältigt sind, können sich die Schüler in diesem Thema in die mittlere Kategorie hochstufen.
In der mittleren Kategorie (?) gibt es keinen Input, sondern es wird mit verschieden Aufgabenstellungen und Schwerpunkten geübt. Die Aufgaben werden wieder selbstständig kontrolliert und wenn sie erfolgreich bearbeitet wurden, können sich die Schüler ebenfalls in die nächste Kategorie hochstufen.
In der höchsten Kategorie (?) gibt es zunächst einige Aufgaben mit deutlich gehobenem Schwierigkeitsgrad, vertiefende Problemstellungen oder vernetzende Arbeitsaufträge. Vom Umfang her werden diese jedoch so gewählt, dass ein guter Schüler diese in der zur Verfügung stehenden Zeit gut bewältigen kann und zudem für die Mitschüler in beratender Funktion tätig werden kann. Denn alle Schüler, die die Aufgaben des gehobenen Niveaus erfolgreich bewältigt haben, stehen den Mitschülern als Lernassistenten zur Verfügung. Dazu muss der Schüler zunächst seine Aufgaben und vor allem seine Vorgehensweise kurz beim Lehrer vorlegen und (wenn dieser dies für sinnvoll erachtet) seinen Namen und sein Experten-Thema für alle sichtbar (z.B. an der Tafel) notieren.
Wer im unteren oder mittleren Niveau beim Bewältigen der Aufgaben Schwierigkeiten hat, soll sich nun zunächst (falls ein Experte zur Verfügung steht) einen Mitschüler zur Hilfe holen, bevor er sich an die Lehrkraft wendet. Dies hat zum Einen den Vorteil, dass die Schüler lernen, gemeinsam an auftretenden Problemen zu arbeiten, zum anderen können die Experten durch dieses „Lernen durch Lehren“ die eigene Verständnis des Themas weiter vertiefen. Zudem hat die Lehrkraft dadurch mehr Zeit einzelnen Schülern bei konkreten Problemen zu helfen und individuelles Feedback zu geben.
Am Ende sollten alle Schüler mindestens das mittlere Niveau und eine bestimmte (vorab festzulegende) Anzahl Aufgaben bewältigt haben. Diese Vorgehensweise lässt sich, wie viele andere Methoden in denen die Schüler selbstständig arbeiten, auch auf mehrere Stunden verteilen.
Fazit:
• Erklärvideos lassen sich auch direkt im Unterricht einsetzen.
• Von einer frontalen Verwendung vor der ganzen Klasse raten wir dringend ab.
• Es gibt vielfältige Möglichkeiten Erklärvideos von kleinen Lerngruppen eigenverantwortlich bearbeiten zu lassen.